"Dem Himmel
gegenüber"
Eröffnende Worte zu den "Paul
Hofhaimer Tagen" in Radstadt 2006
Nike Wagner
Intendantin des Weimarer Kunstfestes "pèlerinages"
Der Pianist und Komponist Franz Liszt ist der "Säulenheilige"
meines Weimarer Kunstfestes; den Namen "pèlerinages" habe
ich Liszts drei Klavierzyklen "Années de pèlerinages",
seinen "Lehr- und Wanderjahren" entnommen. Hier berichtete
der Komponist mit Musik über Stationen seiner Reisen in ganz Europa,
er, der - wie es Heinrich Heine treffend gesagt hat - seine Nase in
alle Kochtöpfe gesteckt hat, in denen Zukünftiges gebraut wird.
Franz Liszt hat auf seinen
Reisen unendlich Vieles und Viele kennen gelernt, aus seiner
Gegenwart, aber auch aus vergangenen Epochen. Doch nach Radstadt,
wohin ich heute liebenswürdigerweise geladen wurde, ist er nie
gekommen. Seine Alpenerlebnisse
hat er in der Schweiz, seine Österreich-erfahrungen als Klavierschüler
von Czerny in Wien gehabt. Paul Hofhaimer kannte er nicht. Ich wüsste
niemanden, der Hofhaimer und seine Musik damals gekannt hat. Aber es
ist gleichwohl nicht übertrieben, in dem in Radstadt geborenen
Komponisten und Organisten von Kaiser Maximilian I. den Franz Liszt
der Orgel des 16. Jahrhunderts zu sehen.
Es gibt jedoch noch viel
mehr, was Liszt und Hofhaimer gemeinsam haben: Beide kamen vom Lande,
beide mussten lange und harte Wege gehen, bis sie weithin Beachtung
fanden. Beide sind weit herum gekommen, mussten viele Strapazen auf
sich nehmen, doch das Reisen hat beiden den Blick geöffnet, selbst
wenn Paul Hofhaimer über die beständigen Ortswechsel Freunden gegenüber
mitunter geseufzt hat. Franz Liszt hat die "Lisztomania",
den Starrummel um seine Person, durchaus befördert, aber dieses Getue
wurde ihm schließlich so lästig, dass er sich in Weimar, der Stadt
der längst verstorbenen Goethe und Schilller, niederließ. Dorthin,
in die Provinz, hat er die moderne Künstlerwelt, einen Hector Berlioz
aus Paris und meinen Urgrossvater, den politischen Flüchtling Richard
Wagner, eingeladen.
Je länger man sie
nebeneinander sieht, Paul Hofhaimer und Franz Liszt, um so mehr
scheinen sie sich zu gleichen, die überragenden Interpreten,
zukunftsweisenden Komponisten und Lehrer. Beide haben in fernen Zeiten
gelebt, der eine im frühen 16., der andere im 19. Jahrhundert; ihre
Instrumente waren verschieden, doch an ihrem Rang gibt es nichts zu
deuteln. Und schon gar nicht daran, dass sie - voll und ganz - in
ihrer eigenen Zeit gelebt haben, wissend um die bedeutenden
Traditionen hinter ihnen, aber stets nach vorne, in die Zukunft
blickend.
Genau das macht Paul
Hofhaimer und Franz Liszt zu idealen "Schutzheiligen" von
Kunst- und Musikfesten, in Radstadt wie in Weimar: Wir wollen keine
"Berühmtheiten" - und damit eigentlich nur uns selber -
feiern, unserem Selbstverständnis schmeicheln. Wir wollen uns um das,
was ein Hofhaimer und Liszt in ihrer Zeit, an ihren Orten taten, heute
versuchen. Elisabeth Schneider macht das vorbildlich in Radstadt,
nicht nur an den Festival-Tagen, sondern während des ganzen Jahres.
Ich kann ihr nur von Herzen wünschen, dass sie dafür - in Radstadt,
im Lande Salzburg und darüber hinaus - die verdiente Anerkennung
findet. (Die Gegner, die auf "Events" aus sind, die keinen
Besucher herausfordern, gibt es heute überall; sie können mächtig Lärm
machen, wie etwa den touristischen Lärm in einem
"Mozart-Jahr").
"Dem Himmel gegenüber" -
wem kämen solche Worte nicht in den Sinn, wenn er, nach der Fahrt
durch Schluchten und Tunnels, nach Radstadt kommt und die Weite, das
nach oben Offene einzuatmen beginnt (und dabei beinahe den im
Hintergrund grollenden und rauchenden Autolärm vergisst).
"Dem Himmel gegenüber"
ist zunächst nur ein poetisches Thema. Erst das Programm
dieser Hofhaimer-Tage entfaltet es, macht es konkret, verleiht ihm ein
ganzes Spektrum von Formen und Farben: Künstler aus der Region
reichen solchen, die von weit her kommen, die Hand: Der Franzose
Olivier Messiaen mit seinem (in einem deutschen Straflager
komponierten) apokalyptischen "Quartett für das Weltende"
steht neben dem schicken "American Boy" Phil Glas, Händels
Arkadien - in "Acis and Galathea" - trifft auf Mozarts
unvergleichliches Es-Dur-Divertimento für Streichtrio, dem alles
bloss Divertierende ausgetrieben wurde. Dazu Kaiser Leopold I., der
sich im Morgengrauen von seinem Lautenisten den Schlaf musikalisch aus
den Augen reiben lässt. So wie Herr Goldberg (einer wenig glaubwürdigen
Anekdote zufolge) seinem gnädigen Herrn Kaiserling mit Johann
Sebastian Bachs "Goldberg-Variationen" die Schlaflosigkeit
verkürzt haben soll. (Hier sind denn auch das Radstädter- und das
Weimarer Festival siamesische Zwillinge: Mein Motto für 2006 lautet,
nach dem Titel eines Klavierstücks von Liszt, "Schlaflos - Frage
und Antwort" - und die "Goldberg-Variationen" gibt es
an beiden Orten …)
Zwei weitere Weltreisende, Genies
im Aufnehmen und Verarbeiten von "Fremdem", George Frideric
Handel, den die Italiener "il caro Sassone" nannten, trifft
auf den weit gereisten Wolfgang Amadé Mozart, der von Händel noch in
reifen Jahren viel gelernt hat. Wer die Ohren spitzt, wird das aus
Mozarts "Requiem" heraushören.
Sie sehen: Es ist so leicht,
in diesem Programm zu promenieren - noch bevor der erste Ton erklungen
ist. Ich würde gerne die ganzen zehn Hofhaimer-Tage hier sein, tagsüber
von den Bergen in den "Himmel gegenüber" gucken, und an den
Abenden diese Himmel mit den Ohren und den Augen erkunden.
Ihnen allen, den Mitwirkenden, dem
lauschend mitwirkenden Publikum von nah und fern, den Macherinnen und
Machern vor und hinter den Bühnen und Elisabeth Schneider, die das
alles so beziehungsvoll disponiert hat, wünsche ich erlebnisreiche
Tage bei ungezählten Blicken in die Himmel gegenüber. Nur beim Überqueren
der Strassen sollten sie gelegentlich nach rechts und nach links
sehen, denn Sie selbst sind noch nicht dort oben, sondern, auf
wunderbare Weise, mit bedeutender Kunst, "dem Himmel GEGENÜBER".
© Nike Wagner Juni 2006
Kunstfest "pèlerinages"
Weimar
Am Palais 3
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